Ich – man?

Ist euch auch schon aufgefallen, dass Menschen von sich selbst oft nicht als „Ich“ sprechen, sondern die unpersönliche Form „man“ verwenden?

Das kleine Kind unter zwei Jahren kennt das „Ich“ noch nicht. Es sagt dann, wenn es sich selbst meint: „Die Karin will Schokolade“. Es muss zuerst verstehen, dass „ich“ nicht eine bestimmte Person ist, sondern dass wenn die Mutter „ich“ sagt, sie sich selbst meint, und wenn der Vater „ich“ sagt, er sich selbst meint. Kurz nachdem das Kind das gelernt hat, beginnt dann die Trotzphase, in der es das „Ich“ verwendet, häufig in Zusammenhang mit dem Verb wollen: „Ich will Schokolade!“ – „Ich will nicht ins Bett!“
Dieses starke Ich-Bewusstsein verlieren wir oft mit den Jahren wieder in mehr oder minder starkem Ausmass. Wir trauen uns nicht mehr, klar und direkt zu sagen, was wir wollen und was wir nicht wollen, auch nicht wie wir uns fühlen, was uns weh tut…

Das führt manchmal dazu, dass Menschen dem „Ich“ wörtlich ausweichen und von sich als „man“ sprechen; oft wechseln sie sogar mitten in einer Aussage zum „man“.
Hier das Beispiel einer Frau, die im Treppenhaus mit ihrer Nachbarin tratscht: „Die Frau X hat schon wieder einen neuen Freund, ich habe sie gestern Abend spät mit ihm nach Hause kommen sehen, und er ist die ganze Nacht geblieben. Man will ja nicht neugierig sein, aber die waren so laut, es war nicht zu überhören!“
Ein anderes Beispiel von einem Mann, dessen Haus von einem Hochwasser schwer beschädigt worden ist, zu einem Fernsehreporter: „Es ging alles so schnell, meine Frau und ich, wir konnten uns gerade noch in Sicherheit bringen. Und jetzt sehe ich den Schaden, das Haus ist unbewohnbar. Von einem Tag auf den anderen hat man alles verloren.“
Und noch ein drittes Beispiel eines Sportlers, der gerade eine Goldmedaille gewonnen hat: „Ich war heute wirklich in Form, es war mein Tag! Ja, da freut man sich schon!“

Teilweise ist dieses unpersönliche „man“ zu einer Gewohnheit geworden, ja man könnte es fast eine „Mode“ nennen, es wird immer häufiger verwendet, habe ich das Gefühl – oder vielleicht bin ich einfach sensibler dafür und höre genauer hin.
Ja, „man“ bin eben nicht ich! Damit kann ich Unangenehmes, Schmerzhaftes, Beschämendes und mehr gewissermassen unpersönlich ausdrücken, als wäre es nicht ich direkt, und sogar bei freudigen Ereignissen meine Freude irgendwie relativieren. Meistens lässt sich diese Art zu reden so deuten, dass jemand nicht wirklich zu dem steht, stehen will, was er sagt, seine Gedanken und Gefühle hinter einer allgemeine Formulierung versteckt.
Achtet einmal darauf, es ist ganz interessant zu sehen, bei welchen Gelegenheiten und welchen Aussagen die Menschen zu dieser unpersönlichen, verallgemeinernden Form greifen!

Fast unnötig zu sagen, dass wir sie selbstverständlich nicht verwenden sollten! Ich bin ich – nicht man! – und ich stehe zu dem, was ich sage, ich habe keine Angst meine Meinung und meine Empfindungen zu zeigen. Ich stehe zu mir selbst.
In diesem Sinne: Man sieht sich – demnächst wieder auf dieser Website 😉

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5 Gedanken zu “Ich – man?

  1. Hallo Karin,

    ich schon wieder 😉 Ich finde diesen Text sehr schön und er hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Ich stelle fest, wie oft ich dieses Wörtchen „man“ auch sage („man sollte…“, „man macht nicht…“). Dieses Wort hat in der Tat etwas sehr unpersönliches, hinter dem man sich gut verstecken kann (jetzt habe ich es bewußt gewählt 😀 ). Außerdem können andere mir viel schlechter an den Kragen gehen, denn „man“ hat einen verallgemeinernden Charakter. Ich bringe damit zum Ausdruck, dass nicht ich dieser Meinung bin, sondern eine allgemeine Ansicht bzw. Moral dahinter steckt. Zugleich hat dieses Wort vielfach auch einen negativen Beigeschmack, wenn andere dies zu mir sagen: Ich bekomme dabei den Eindruck vermittelt, ich müsse mich einer Moral unterordnen, nicht weil ich diese selbst als richtig und gut erachte, sondern vielmehr weil diese Moral einfach eine allgemeingültige Gesetzmäßigkeit beinhaltet (bspw. „das macht man aber nicht!“).

    Ich halte es ist nicht grundsätzlich für schlimm, wenn „gute“ Ansichten (im engeren: „richtiges“ Benehmen) an mich heran getragen werden. Doch es ist eben ein Unterschied, wenn ich diese auch selbst als gut empfinde – sie also verinnerlicht habe – oder nur nach ihr lebe, um nicht mit anderen anzuecken. Im zweiteren Fall stehe ich nämlich nicht wirklich dahinter und lebe u. U. mit Spannungen in mir.

    Schönen Gruß,
    Chris

  2. Hallo Chris,

    Ich freue mich, wieder von dir zu hören! Du triffst genau den Punkt mit dem, was du schreibst 🙂
    Gerade dieses „moralische Man“ kennen wir ja alle zur Genüge aus unserer Kindheit, dieses ewige „das macht man nicht“, „das darf man nicht“! Meine Mutter sagt mir so etwas immer noch, allerdings nehme ich es heute nicht mehr ernst 😉

    Herzliche Grüsse,
    Karin

  3. Hi Karin,

    das freut mich zu lesen!

    Im Zusammenhang mit persönlichen Fürwörtern ist mir noch etwas aufgefallen, das ich gern weitergeben möchte: So wie das Wort „man“ eher etwas Unnahbares (nicht selten auch Vorwerfendes) an sich hat, finde ich, hat das Wort „wir“ etwas sehr Wohlwollendes an sich. Wenn ich bspw. sage: „Wir neigen oft dazu, in Stresssituationen überzureagieren“, dann schließe ich mich mit in diesen Personenkreis ein. Demjenigen, dem ich diese Botschaft mitteile, signalisiere ich

    a) dass dies ein menschliches (und damit verzeihbares) Verhalten ist
    b) dass mein Gegenüber nicht alleine damit ist, sondern mir dies auch genauso wiederfährt
    c) dass ich vermutlich aus Erfahrung berichte und dies nicht aus irgend einer Fachzeitschrift habe

    Ich lese, dass auch du oft das „wir“ gebrauchst, wenn du von alltäglichem menschlichen Verhalten und Reaktionen schreibst. Wie gesagt: Ich finde, dass ein „wir“ etwas viel Herzlicheres und Wohlwollenderes ansich hat, als ein „gruppenanalytisches man“. Ich glaube, wenn wir gutgemeinte Ratschläge weitergeben, erhält unser Gegenüber mit den Wörtern „ich“ und „wir“ einen viel größeren Bezug zu dem, was wir sagen. Ich versuche mich darin zu üben, auch wenn „man“ anderes gewohnt ist 😉

    Nächtlichen Gruß,
    Chris

  4. Die positive Wirkung von „wir“ ist mir erst vor kurzem bewußt geworden. Seither habe ich es auch des öfteren in bestimmten Situationen gebraucht. Ich möchte versuchen, es mehr in meinen Wortgebrauch zu integrieren. Ich mag es 🙂

    Gruß,
    Chris

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