Was am meisten wehtut

Sofia*, eine Freundin von mir, lernte vor gut einem Jahr einen Mann kennen; es war von beiden Liebe auf den ersten Blick, eine grosse Liebe. Allerdings waren seitens des Mannes die Voraussetzungen für eine glückliche Beziehung nicht gegeben. Sofia war sich dessen sofort bewusst, doch sie wollte nicht von vornherein aufgeben, ohne es wenigstens versucht zu haben.

Vor ein paar Tagen erzählte sie mir, dass sie sich getrennt hätten, in beiderseitigem Einvernehmen wie man so schön sagt, weil ihre Beziehung einfach keine Zukunft hatte. Sie war traurig und niedergeschlagen. Dann flackerte in ihren Augen aber plötzlich Wut auf und sie sagte: „Weisst du, was neben dem Trennungsschmerz am meisten wehtut? Die Reaktion meiner Familie und meiner Freunde, als ich ihnen mitteilte, meine Beziehung sei zu Ende. Meine Schwester sagte: ‚Das habe ich früher oder später erwartet‘. Meine Mutter: ‚Du wusstest doch selbst, dass es nicht gut gehen konnte‘. Meine beste Freundin: ‚Nach meiner Erfahrung gehen solche Beziehungen immer schlecht aus.‘ Weisst du, wie weh das tut? Die Menschen, die mir am nächsten sind, finden keine tröstenden Worte, sondern machen mir gewissermassen Vorwürfe, dass ich mich überhaupt auf diese grosse Liebe eingelassen habe!“

Jaaaa, wie gerne demonstrieren wir doch den anderen, dass wir weiser sind als sie, dass wir eine Situation treffender eingeschätzt haben.
Wie schnell kommt uns über die Lippen: „Ich hatte es dir doch gesagt!“
Wie viel liegt uns doch daran, anderen unsere Überlegenheit zu zeigen, sie zurechtzuweisen.

Dies ist eine Verhaltensweise, die von einem Mangel an Selbstwertgefühl zeugt. Andernfalls haben wir es nicht nötig, unsere vermeintliche Überlegenheit zur Schau zu stellen.
Selbst wenn wir in einer Situation wie der oben geschilderten denken „Ich wusste es doch!“, brauchen wir es nicht zu sagen und den anderen dadurch zu erniedrigen.
Mitfühlen, trösten, aufbauen – das zeugt von einer gesunden Selbstliebe.
Denn wie sagt man so schön? Nur wenn wir uns selbst lieben, können wir andere lieben und ihnen in jeder Situation liebevoll begegnen.

* Name aus Diskretionsgründen geändert.

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2 Gedanken zu “Was am meisten wehtut

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