Trennung/Scheidung – oder bis dass der Tod…

Zwei Frauen, zwei Schicksale, zwei unterschiedliche Weisen damit umzugehen – zu sich selbst zu stehen, in Würde und Selbstachtung…

Sabine*, eine Freundin von mir, war seit 20 Jahren mit Rolf verheiratet. Sie waren recht verschieden, teilten kaum gleiche Interessen und vor allem Sabine lebte oft ihr eigenes Leben; doch wirklich etwas vorwerfen, konnte man Rolf nicht. Sie dachte aber je länger je öfters über Scheidung nach: Sie wollte ihr Leben mit jemandem teilen und von Rolf fühlte sie sich „allein gelassen“, auch in Bezug auf die beiden Kinder im Teenageralter.
Dann erkrankte Rolf an Krebs. Nach einer Operation und der folgenden Chemotherapie ging es ihm zusehends besser; als geheilt würde er aber erst nach einigen Jahren gelten, falls er in dieser Zeit tatsächlich keinen Rückfall erlitte.
Dennoch reichte Sabine die Scheidung ein. Sie liess sich von den veränderten „äusseren Umständen“, die im Grunde genommen nichts mit ihr und der Beziehung zu ihrem Mann zu tun hatten, nicht davon abhalten. Natürlich machte sie sich die Entscheidung nicht leicht, welche Frau verlässt schon ihren schwerkranken Mann? Und was würde die Familie dazu sagen, vor allem seine Familie? Würden alle sie verurteilen, auch die Freunde? Und die Kinder?
Sabine hatte den Mut zu dem zu stehen, was sie tief in sich spürte, was für sie stimmte – zu ihrem Entschluss, den sie lange vor Rolfs Erkrankung innerlich gefällt hatte.
Und es kam, wie es oft kommt, wenn wir aufrecht unseren Weg gehen und uns nicht vor Liebesentzug und dem Urteil der Mitmenschen fürchten: Alle, auch Rolfs Angehörige, zeigten Verständnis für sie, niemand verurteilte sie, die Kinder schon gar nicht.
Heute teilt Sabine ihr Leben mit einem neuen Partner und ist sehr glücklich. Rolf ist zwei Jahre nach der Scheidung an Krebs gestorben.

Natalie, eine andere meiner Freundinnen, heiratete vor rund 15 Jahren Werner; sie haben zwei Kinder. Werner trinkt, mindestens drei bis vier Mal pro Woche geht er nach der Arbeit noch ins Wirtshaus und kommt dann angeheitert nach Hause; er hat ein ganz schlechtes Selbstwertgefühl (es wurde ihm von frühester Kindheit an von seinem Vater genommen) – was natürlich keine Entschuldigung für seine Alkoholkrankheit ist.
Natalie war mit dem ersten Kind schwanger, als Werner in betrunkenem Zustand sie zum ersten Mal schlug. Von da an kam es immer wieder zu solchen Misshandlungen. Und noch schlimmere Dinge sind geschehen, er war eine Zeitlang sogar in der Psychiatrie.
In all den Jahren hat Natalie ihn mehrmals verlassen – um jeweils nach einigen Wochen zu ihm zurückzukehren. Sie selbst hat ebenso wenig Selbstwertgefühl, sie hat Angst vor dem Alleinsein, davor nicht für die Kinder sorgen zu können, aber hauptsächlich vor dem Verlust des Ansehens im kleinen Ort, wo sie leben – obwohl ihre Familie ganz hinter ihr steht und auch Werners Familie jeweils nicht verstehen konnte, dass sie zu ihm zurückkam, nach allem, was er ihr angetan hatte.
Sie schaffte es in all den Jahren nicht, sich von ihm zu trennen, obwohl sie ihn schon lange nicht mehr liebt.
Dann erkrankte Werner schwer, mehrere Wochen lang lag er im Koma, sein Leben hing an einem seidenen Faden. Ich weiss nicht, ob Natalie sich wünschte, er möge sterben.
Er überlebte, blieb aber gesundheitlich stark angeschlagen. Jetzt trinkt er zwar nicht mehr, doch er ist pflegebedürftig und zudem in eine Depression gefallen.
Natalie traut sich nun erst recht nicht mehr, die Scheidung einzureichen. Was würden die Leute denken, wenn sie ihren invaliden Mann verlässt? Und seine Verwandten? Und die Kinder?
Dieser Zustand dauert inzwischen weit über ein Jahr an. Ich wünsche Natalie von ganzem Herzen die Kraft und den Mut, den längst fälligen Schritt zu wagen und ihre Selbstachtung wiederzufinden.

Wir dürfen zu uns selbst stehen, wir sind nicht für das Schicksal anderer Menschen verantwortlich! Wir sollen so handeln, wie wir es tief in uns spüren, im Vertrauen, dass alles so kommt, wie es für alle Beteiligten gut und richtig ist. Und vor allem brauchen wir vor den Konsequenzen keine Angst zu haben – meistens geschieht das, was wir uns so düster ausmalen, was wir fürchten, gerade nicht! Unser Mut wird belohnt, es öffnen sich neue, ungeahnte Türen und es entwickelt sich alles in eine ganz andere Richtung, schöner und bereichernder, als wir uns erträumen könnten…
Doch darauf warten, dass das „Schicksal“ oder der liebe Gott oder wer auch immer mir eine Entscheidung, die ich treffen muss, abnimmt, ist eine Illusion. Im Gegenteil, wie auch Natalie neulich traurig sagte: „Hätte ich mich doch bloss vor seiner Krankheit von ihm getrennt… Ich habe mich nicht getraut, und jetzt macht das Schicksal es mir noch schwerer… Es ist schon wahr, dass die Prüfungen immer härter und schwerer werden, wenn man nicht so handelt, wie man es eigentlich als richtig erkennt…“

*Alle Namen aus Diskretionsgründen geändert.

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4 Gedanken zu “Trennung/Scheidung – oder bis dass der Tod…

  1. Werden die Prüfungen tatsächlich immer härter und schwerer? Das hört sich so nach einem „bösen“ Schicksal an, dass uns mit Gewalt auf den richtigen Weg führen, statt uns sanft zu lenken versucht…

  2. Liebe Andrea,

    wie würdest du denn ein Kind erziehen, das einfach nicht hören will, obwohl man ihm etwas schon x Mal gesagt hat? Ein Kind, das Dinge tut, von denen es genau weiss, dass es sie nicht tun darf / soll?
    Was bleibt dann liebenden Eltern anderes übrig, als immer härter durchzugreifen – nicht um zu strafen, sondern um das Kind vor noch grösserem Unheil zu bewahren.

    Alles Liebe,
    Karin

  3. Liebe Karin,

    Ja, so hört sich das ganz anders und viel besser an (ich glaube, ich habe noch sehr das Bild vom strafenden Richtergott im Kopf, der es einem heimzahlen will).

    Vor dem immer härteren Durchgreifen habe ich aber dennoch Angst und würde gerne alle Entscheidungen so treffen, dass das harte Durchgreifen nicht nötig ist. Ich wünsche mir z.B., dass DIESE Beziehung harmonisch und erfüllend wird und es nicht nötig ist, weitere (für mich und andere schmerzhafte) Lektionen zu lernen. Deswegen traue ich mich manchmal gar nicht, irgendetwas zu entscheiden, aus Furcht, dass es „falsch“ sein könnte.

    Und wenn man immer genau das bekommt, was man gerade braucht, hat man dann auch die „falsche“ Entscheidung gerade in dem Moment gebraucht? Und spielt dabei auch so etwas wie Determination mit und man hatte gar keine andere Möglichkeit, als sich in dem Moment so zu entscheiden und schneller bzw. mit weniger Lektionen (oder aber „langsamer“ mit ein paar Extra-Lektionen) auf den „richtigen“ Weg zu kommen?

    Danke wie immer für deine Antworten, sie inspirieren mich sehr.

    Liebe Grüße,
    Andrea

  4. Liebe Andrea,

    Wir können nichts anderes tun, als nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. Und ich glaube nicht, dass die Lektionen härter werden, wenn wir das tun, sondern nur dann, wenn wir gegen unsere innere Stimme entscheiden, wenn wir also eine Entscheidung fällen, von der wir bereits wissen, dass sie „falsch“ ist.

    Herzlichst,
    Karin

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