Als Zufall werden unvorhersehbare, unbeabsichtigte Ereignisse bezeichnet, die nicht als Folge bestimmter Ursachen erkennbar und nicht rational erklärbar sind. Zufall ist das, was uns zufällt, ohne dass wir danach suchen oder es anstreben.
Es stellt sich die Frage, ob dieses uns Zugefallene einer chaotischen Welt entspringt, in der in jedem Augenblick alles ohne Sinn und Zweck geschehen kann, wie es die Allegorie der Glücksgöttin Fortuna suggeriert, die mit verbundenen Augen das Glück wahllos streut.
Oder ob es nach einer Gesetzmässigkeit geschieht und ein Ziel verfolgt.
Analoges sagt das Wort Schicksal aus, das in einer ähnlichen Bedeutung benutzt wird wie Zufall. Es impliziert aber stärker eine gewisse Vorbestimmung oder die Einwirkung einer Macht, der wir ausgeliefert sind, und weist oft einen negativen Beigeschmack auf. Bei einer positiven Wendung sprechen wir eher von Fügung; damit ist jedoch auch gemeint, dass wir uns fügen müssen. Gleichermassen geht das Wort Schicksal auf schicken zurück im Sinne von sich schicken (= sich fügen).
Warum gibt es Menschen, die ein schweres Schicksal erleiden, immer und immer wieder von sogenannten Schicksalsschlägen getroffen werden, und andere, bei denen das Leben glatt und unproblematisch verläuft und der Zufall stets zu Hilfe kommt?
Gibt es eine Erklärung für das Leiden all derer, die scheinbar nichts dafür können – hungernde Kinder, Tote bei Naturkatastrophen, unschuldige Opfer bei Unfällen? Und für die vermeintlichen Glückspilze?
„Warum?“ Diese Frage beschäftigt die Menschen jedes Mal. Und wenn es uns selbst trifft, eine Krankheit, der Tod eines geliebten Menschen, der Verlust des Arbeitsplatzes, fragen wir: „Warum ausgerechnet ich?“ Bezeichnenderweise interessiert uns das meistens nicht, wenn das Glück uns hold ist, wenn Angenehmes uns zufällt.
Vielleicht ist die Frage nur falsch gestellt. Sie müsste nicht „Warum?“ lauten, sondern präziser „Was hat es für mich zu bedeuten?“ Liegt nicht etwa in allem ein Sinn? Wenn der Sinn des Lebens unsere innere Entwicklung ist und unser individuelles Dasein die Schule, dann zeigt uns jedes einzelne Ereignis, was wir noch lernen müssen, oder bestätigt uns, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Die Schwierigkeit liegt indes darin zu erkennen, was wir lernen sollen, was uns ein Zufall, ein Schicksalsschlag oder eine glückliche Fügung sagen will.
Für die Deutung gibt es keine allgemein gültigen Regeln. Bei Krankheiten ist es vergleichsweise einfach, eine Erklärung zu finden, wenn wir den befallenen Körperteil und seine Funktion betrachten. So ist beispielsweise die Haut unsere „Kontaktstelle zur Aussenwelt“: Dermatologische Probleme lassen oft auf eine gestörte Beziehung zu unserem Umfeld und den Mitmenschen schliessen. Füsse und Beine symbolisieren einerseits Standhaftigkeit, andrerseits Voranschreiten, das Herz steht für Liebe, der Schoss für Geborgenheit. Oft bringen uns auch Redensarten auf die richtige Spur: etwas liegt mir auf dem Magen; meine Kehle ist wie zugeschnürt; die Angst sitzt mir im Nacken; er hat mir das Herz gebrochen.
Nicht immer ist die Auslegung allerdings so klar. Bei Heiserkeit beispielsweise, also dem Verlust der Stimme, fragen wir uns: „Was darf ich nicht sagen?“ Oder: „Was habe ich gesagt und hätte es besser unterlassen?“ Aber ebenso: „Was hätte ich zu sagen gehabt, jedoch geschwiegen?“ Hier erkennen wir, dass verschiedene, zum Teil sogar entgegengesetzte Erklärungen zutreffen könnten.
Bei anderen Ereignissen als Krankheiten sind Schlussfolgerungen noch schwieriger. Wie gehe ich damit um, wenn bei einem Vorhaben immer wieder Hindernisse auftreten? Vielleicht ist mein Projekt nicht gut für mich und ich sollte es nicht weiterverfolgen – oder lernen, für eine Sache zu kämpfen und nicht klein beizugeben?
Was will das Schicksal mich lehren, wenn der geliebte Partner mich verlässt: loszulassen, mein Ego zu überwinden und ihm von Herzen alles Glück der Welt zu wünschen? Oder findet diese Trennung statt, weil für mich ein anderer Weg bereitsteht, der mir mehr Erfüllung und wichtige Erfahrungen schenken wird?
Warum verliere ich den Job? Ist es etwa ein fälliger Schritt, dem ich mich bisher verweigert habe, obwohl die Situation an meinem Arbeitsplatz nicht mehr zufrieden stellend war? Oder muss ich lernen kürzerzutreten, mich mehr der Familie oder der Gesundheit zu widmen? Wartet vielleicht eine besser geeignete Aufgabe auf mich? Oder heisst es einfach lernen, auch diese Situation ohne Angst und Selbstzweifel zu überstehen?
Finde ich eine befriedigende Interpretation für unangenehme Zufälle oder ein schmerzliches Schicksal, so fällt es mir leichter, sie zu akzeptieren, und ich erkenne eher, wie ich mich zu verhalten habe.
Die Frage nach der Bedeutung stellt sich auch bei angenehmen Zufällen und glücklichen Fügungen, denn alles, was uns zufällt, hat einen Sinn. Die Ereignisse sind sozusagen Wegweiser, „geheime“ Zeichen, die es zu entschlüsseln gilt und die uns dann die Richtung weisen.
Manchmal verstehen wir die Botschaft eines Geschehens hingegen nicht unmittelbar. Möglicherweise wird uns die Einsicht zu einem späteren Zeitpunkt geschenkt, vielleicht jedoch nie. Auf jeden Fall sollten wir uns nicht den Kopf darüber zerbrechen oder uns quälen, sondern es einfach als gegeben stehen lassen – und vor allem akzeptieren, in der absoluten Zuversicht, dass alles, was uns geschieht, uns weiterbringt und nur zu unserem Besten ist.
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