Gleich vorneweg: Auf die Frage, ob es berechtigte Lügen, also Gründe zu lügen, gibt oder nicht, gehe ich heute nicht ein. Und dass wir nicht immer unaufgefordert alles sagen müssen, versteht sich von selbst.
Warum wir grundsätzlich nicht lügen sollten, vor allem im Hinblick auf unser Selbstwertgefühl, habe ich auf dieser Website verschiedentlich dargelegt, siehe hier und hier.
Lügen stehen zudem im Widerspruch zum Urvertrauen, weil wir uns anmassen, die Wahrheit nach unserem Gutdünken zu verbiegen und nicht darauf vertrauen, dass egal wie wir uns verhalten – lügen oder die Wahrheit sagen – stets alles so kommt, wie es für alle Beteiligten gut und richtig ist.
Heute ist jedoch ein verwandter Aspekt mein Thema. Manchmal nehmen wir für uns in Anspruch, aus edlen Motiven zu lügen*, beispielsweise um jemandem mit der Wahrheit nicht weh zu tun. Manchmal auch aus einem in unseren Augen berechtigten Selbstschutz. Welche Gründe uns auch zu einer Lüge bewegen: Überlegen wir uns dabei je, was der Angelogene dabei empfindet?
Lüge/Wahrheit ist einer jener typischen Bereiche, in denen wir für uns selbst etwas erwarten, was wir anderen nicht zugestehen. Wir selbst wollen nicht angelogen werden, nicht wahr? Warum vergessen wir dann stets, dass andere das ebenso wenig wollen?
Bitte denkt einen Augenblick nach und holt euch eine Begebenheit in eure Erinnerung, als ein Mensch, der euch etwas bedeutet, euch einmal angelogen hat. Wie habt ihr euch dabei gefühlt?
Genau. Verletzt, enttäuscht, gedemütigt, vielleicht auch wütend… Nicht gut, jedenfalls. Ebenso wie ich mich neulich gefühlt habe.
Kürzlich hat ein Mensch, den ich mag und achte und mit dem ich eine aufrichtige Beziehung pflege und darauf Wert lege, mich angelogen.
Meine erste Empfindung dabei war Verletzung. Ich fühlte mich verletzt, dass dieser Mensch mir nicht zutraute, mit der Wahrheit umgehen, sie ertragen zu können.
Meine zweite Empfindung war Enttäuschung. Ich war enttäuscht, dass ein Mensch, von dem ich viel halte, lügt, weil er einen allfälligen Konflikt mit mir scheut oder aus Angst vor meiner Reaktion oder aus welchen Ängsten/Befürchtungen auch immer.
Und um diese beiden Empfindungen lag noch mein Unverständnis über diese in meinen Augen völlig überflüssige Lüge.
Warum tun wir das denn unseren Mitmenschen an? Das müssen wir uns überlegen, jedes Mal, wenn wir meinen, jemanden, den wir lieb haben, anlügen zu müssen. Dann sollte uns die Wahrheit leichter über die Lippen kommen. Und besonders wachsam müssen wir immer genau dann sein, wenn wir merken, dass wir im Begriff sind zu lügen und uns augenblicklich dieses unbestimmte ungute Gefühl überkommt, etwas wie ein schlechtes Gewissen, die innere Stimme, die uns davon abhalten will.
Denkt ja nicht, eine Lüge, die nicht „offiziell“ enttarnt wird, tue nicht weh! Die meisten Menschen haben sehr feine Antennen für Lügen. Gemäss der Wissenschaft verändert sich bei einer Lüge die Tonlage des Sprechenden, auch gewisse Gesichtszüge verändern sich, es werden bestimmte Formulierungen gewählt – alles Verhaltensweisen, die uns eine Lüge erkennen lassen.
Darüber hinaus erzeugt eine Lüge jedoch einfach eine Dissonanz, eine Disharmonie, eine ungute Schwingung, oder wie man es nennen will. Der Belogene weiss möglicherweise nicht, dass was er gerade zu hören bekommt, eine Lüge ist, aber er spürt, dass etwas nicht stimmt.
Den wenigstens Menschen entgeht diese „falsche“ Schwingung. Weil wir dabei jedoch oft nicht wissen, was wir da genau spüren, sprechen wir den Lügenden nicht unmittelbar darauf an. Doch bei einer späteren Gelegenheit, vielleicht bei einer ähnlichen Aussage oder einer Aussage, die in uns wiederum diese bestimmte Schwingung auslöst, erkennen wir dann plötzlich die Lüge; es ist nicht einmal nötig, dass der Lügende sich verplappert oder sich sonstwie verrät.
Das ist dann der Moment, in dem die Lüge uns verletzt, enttäuscht, uns schlecht fühlen lässt.
Wie aber sollen wir reagieren, wenn wir merken, dass wir belogen wurden? Emotionen wie Verletzung, Wut, Angst und andere sind schlechte Ratgeber, deshalb sollten wir – wenn möglich – nicht spontan damit herausplatzen, sondern zumindest einmal eine Nacht darüber schlafen und nachdenken.
Ob wir dann den Lügner darauf ansprechen oder nicht, ist in jedem einzelnen Fall zu erwägen, eine allgemein gültige Regel kann es nicht geben. Ich kann in diesem Zusammenhang nur wiederholen, was ich immer wieder sage: Das Leben ist nicht schwarz und weiss, es gibt unendlich viele Grautöne. So ist auch eine Lüge und unsere Reaktion darauf nicht immer nur schwarz oder weiss.
Eines sollten wir auf jeden Fall immer tun, egal wie wir im Übrigen reagieren: Schlussendlich Verständnis haben für die Schwäche unseres Mitmenschen – wir selbst sind ja auch nicht perfekt! – und verzeihen.
*Nur kurz zur Definition der Lüge: Wir lügen nicht nur, wenn wir etwas Unwahres sagen; Lügen sind auch Teilwahrheiten, absichtliches Verschweigen von Tatsachen, von denen wir wissen, dass wir sie mitteilen sollten, bewusst missverständliche Aussagen usw.
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