Nie aufgeben, ohne es wenigstens versucht zu haben!

Eine Sufi-Geschichte von Rumi

In einem Wald wohnte ein wilder Löwe; alle anderen Tiere lebten in ständiger Furcht vor ihm. Eines Tages versammelten sie sich, um einen Ausweg zu finden, und schliesslich einigten sie sich auf eine Lösung.
Eine Gesandtschaft suchte den Löwen auf und sagte ihm: „Jeden Tag frisst du einen von uns; deshalb sind wir alle stets ängstlich und können unserer Futtersuche nicht in Ruhe nachgehen. Oh König der Tiere, wir schlagen dir vor, dass du von nun an auf deinem Thron bleibst, und jeden Tag wird einer von uns zu dir kommen, damit du ihn fressen kannst. So haben wir unsere Ruhe und du brauchst dich nicht mehr abzumühen.“
Das gefiel dem Löwen und er willigte ein. Von da an wurde jeden Morgen ein Tier ausgelost, das sich zum Löwen begeben und sich von ihm fressen lassen musste.
Als das Los auf den Hasen fiel, wollte sich dieser nicht damit abfinden. „Es muss einen anderen Weg ge­ben“, meinte er. Doch die übrigen Tiere drängten ihn, denn sie fürchteten, den Löwen zu verärgern. Nur mit viel Mühe gelang es ihnen, den Hasen zum Gehen zu bewegen.
Als er beim Löwen eintraf, war es schon Nachmittag und der König der Tiere war sehr hungrig und brüllte fürchterlich: „Warum kommst du so spät?“
Mit gespielter Unterwürfigkeit antwortete der Hase: „Mein Herr, es ist nicht meine Schuld. Ich habe mich frühmorgens auf den Weg zu dir gemacht, aber plötzlich stand ein anderer Löwe vor mir und wollte mich fressen. Ich musste davonrennen und manchen Umweg einschlagen, um ihm zu entkommen.“
Wutentbrannt schrie der Löwe: „In diesem Wald gibt es nur einen König und das bin ich!“ Mit unschuldiger Miene pries der Hase den anderen Löwen: „Er ist gross und stark, hat eine beeindruckende Mähne und seine Stimme ist wie der Donner!“
In seiner Ehre verletzt, forderte der Löwe den Hasen auf, ihm den Rivalen zu zeigen. Der Kleine hoppelte los, der König hinterher, bis zum Rand eines Brunnens. „Da un­ten wohnt er“, sagte der Hase, „sieh wie mächtig er ist…“
Zornig blickte der Löwe in den Brunnen und fauchte sein Spiegelbild an, das ebenso fauchte und sich kein bisschen beeindruckt zeigte. Mit einem wilden Schrei stürzte sich der Löwe in den Brunnen und ertrank.
Der Hase kehrte unversehrt zu den anderen Tieren zu­rück und erzählte ihnen, wie er den Löwen überlistet hatte, anstatt sich mit seinem Schicksal abzufinden.

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Urvertrauen im Herbst

Dieses wunderschöne Gedicht von Rilke brauche ich nicht weiter zu kommentieren:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

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Angst zieht das Gefürchtete an

Es wird gesagt: Wenn wir vor etwas Angst haben, ziehen wir genau das an, was wir fürchten. Doch warum ist das so?

Für einiges gibt es eine wissenschaftliche Erklärung. Zum Beispiel bei der Angst vor Hunden. Angst verursacht eine ganz bestimmte Duftausscheidung, die wir Menschen zwar nicht (mehr) riechen oder nicht bewusst wahrnehmen und deuten, wohl aber der Hund: Er greift einen Ängstlichen eher an, weil er ihn aufgrund seiner Angst für unterlegen hält. Im Tierreich funktionieren alle wichtigen Lebensprozesse wie Aggression, Paarung, Familienerkennung usw. über Düfte; wir Menschen haben im Zuge der Evolution die empfindsame Nase eingebüsst. Durch die Verwendung von Deodorants und Parfüms kennen wir nicht einmal mehr unsere eigenen „Düfte“. Verzichten wir jedoch einmal darauf, unseren natürlichen Körpergeruch zu übertünchen, können wir in einer Angst- oder Stresssituation leicht selbst riechen, dass wir einen Duft aussondern, der sich vom „normalen“ Schweissgeruch (z.B. nach einer körperlichen Anstrengung) deutlich unterscheidet.

Ein anderes Beispiel ist die Angst, uns beim Kontakt mit einem Kranken anzustecken. Angst (wie auch Stress, körperliche und psychische Überbelastung) schwächt das Immunsystem: Deshalb haben die Bakterien und Viren grössere Chancen, von unserem Körper nicht effizient bekämpft zu werden, wenn wir uns vor einer Ansteckung fürchten. Wir kommen ja immer wieder mit kranken Menschen zusammen und unsere ganze Umgebung ist generell mit Bakterien und Viren regelrecht verseucht; befinden wir uns in einem psychischen Gleichgewicht, ist die Gefahr zu erkranken geringer, als wenn wir die gegenwärtige Lebenssituation als belastend empfinden.

Für manches gibt es hingegen keine wissenschaftlich anerkannte, jedoch andere Erklärungen:

• Eine parapsychologische/esoterische. Unsere Gedanken an das Gefürchtete erzeugen ein Energie-Bild; je mehr wir uns gedanklich dieser Angst ausliefern, d.h. je öfter und intensiver wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, desto stärker entfaltet sich die Energie und desto schneller wird sich das gedankliche Bild in der Wirklichkeit manifestieren. Das Gleiche geschieht ja auch mit dem, was wir wünschen – sofern unser Begehren stark genug ist, werden wir es anziehen. Die Angstempfindung ist im Allgemeinen indes mächtiger, weshalb etwas Gefürchtetes eher eintritt als etwas Begehrtes.

• Eine spirituelle. Die Angst loszuwerden ist überaus wichtig für die innere Entwicklung; um das zu vollbringen, müssen wir mit der Angst konfrontiert werden und uns ihr stellen. Deshalb zieht unsere Angst das Gefürchtete an – denn gerieten wir nie in die uns Angst machende Situation, könnten wir nicht lernen, mit ihr umzugehen und sie zu besiegen.

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Zitate zum Urvertrauen

Immer wieder begegnen mir schöne Zitate zum Urvertrauen im weiteren Sinne. Ich habe viele gesammelt und veröffentliche einige davon heute hier ohne weiteren Kommentar.

Und was ist die Angst vor der Not anderes als Not? Ist nicht Angst vor Durst, wenn der Brunnen voll ist, der Durst, der unlöschbar ist?
Khalil Gibran

Aus Angst, mit Wenigem auskommen zu müssen, lässt sich der Durchschnittsmensch zu Taten hinreissen, die seine Angst erst recht vermehren.
Epikur

Gott fordert von niemandem mehr, als er vermag.
Koran, Sure 2,286.

Es entspricht einem Lebensgesetz: Wenn sich eine Tür vor uns schliesst, öffnet sich eine andere. Die Tragik ist jedoch, dass man auf die geschlossene Tür blickt und die geöffnete nicht beachtet.
André Gide

Wenn die Richtung stimmt, öffnet sich der Weg vor deinen Füssen.
Indianische Weisheit

Eher hört die Erde auf sich zu drehen, als dass die Menschheit aufhört, sich auf eine Einheit hin zu entwickeln.
Teilhard de Chardin

Es gibt Leiden, von denen man die Menschen nicht heilen sollte, weil sie der einzige Schutz gegen weit ernstere sind.
Marcel Proust

Von der Natur aus gibt es weder Gutes noch Böses. Diesen Unterschied hat die menschliche Meinung gemacht.
Setus Empiricus

Alles ist vorherbestimmt, Anfang wie Ende, durch Kräfte, über die wir keine Gewalt haben. Es ist vorherbestimmt für Insekt nicht anders wie für Stern. Die menschlichen Wesen, Pflanzen oder der Staub, wir alle tanzen nach einer geheimnisvollen Melodie, die ein unsichtbarer Spieler in den Fernen des Weltalls anstimmt.
Albert Einstein

Was nicht geschehen soll, wird niemals geschehen, wie sehr man sich auch darum bemüht. Und was geschehen soll, wird bestimmt geschehen, wie sehr man sich auch anstrengt, es zu verhindern. Das ist gewiss. Weise zu sein bedeutet daher, still zu bleiben.
Ramana Maharshi

Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.
Dietrich Bonhoeffer

Tausend Türen tut Er auf, wo der Mensch ausserstande ist, sich auch nur eine vorzustellen.
Baha’i Weisheit

Alle Tage meines Lebens hast du in dein Buch geschrieben – noch bevor einer von ihnen begann.
Bibel, Psalm 139,16

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Mut haben heisst…

… die Angst nicht zu zeigen!

Angst ist eine wertvolle Eigenschaft, die uns daran hindert, in Gefahren zu geraten. Angst haben wir alle, in unterschiedlichen Situationen, vor verschiedenen Dingen.
Wenn die Menschen, die wir für ihren Mut bewundern, keine Angst hätten, wären sie unsere Bewunderung nicht wert! Wofür sollten wir sie auch bewundern, wenn Furchtlosigkeit für sie eine natürliche Eigenschaft ist? Dann brauchen sie ja keinen Mut

Mut ist nicht Furchtlosigkeit. Mut haben heisst, seine Angst zu erkennen, anzunehmen und sie dann zu überwinden, sie nicht zu zeigen und trotz der Angst zu handeln, sich von der Angst nicht behindern zu lassen.

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Unsicherheit und Zweifel

Immer wieder einmal erwähne ich, dass die innere Stimme ein unfehlbarer Ratgeber ist, auf den wir uns in jeder Situation blind verlassen dürfen, und ich sage auch gerne, dass wir in Wahrheit immer wissen, was wir wollen und was richtig ist.
Doch es lässt sich nicht leugnen, dass in starken emotionalen Situationen, beispielsweise wenn wir frisch verliebt sind oder jemand uns sehr verletzt hat, wir uns in einem Zustand der „Verwirrung“ befinden, in dem wir taub sind für die innere Stimme beziehungsweise allzu viele Stimmen in uns durcheinander reden. Die gleiche Verwirrung tritt ein, wenn das, was wir möchten, nicht das ist, von dem wissen, dass es richtig und gut wäre; dann sind wir hin- und hergerissen, wälzen Argumente pro und contra, kämpfen innerlich.

In diesen „Ausnahmezuständen“ sind wir oft ratlos, manchmal gar verzweifelt, weil wir einfach nicht wissen, wie wir uns verhalten sollen – da lauert ja auch die Angst, das Falsche zu tun. Wir vertrauen uns selbst nicht…
In diesen Momenten ist es wichtig, in unser Urvertrauen einzutauchen. Wie ich auch entscheide, wie ich auch handle, ich brauche mich nicht zu fürchten, es wird immer das daraus entstehen, was für alle Beteiligten das Beste ist – um daraus zu lernen, auf dem Lebensweg einen Schritt weiter zu gehen. Vielleicht werden Schwierigkeiten auf mich zukommen, vielleicht sogar Schmerz, aber auch diese werde ich bewältigen und gestärkt daraus hervorgehen. In jedem Augenblick bin ich geführt und getragen!

Und dann handle ich furchtlos, wie ich es halt gerade spüre – und bin bereit anzunehmen, was auch immer daraus wird. Ich weiss, dass die Gegenwart fortlaufend neu entsteht, ich bekomme immer wieder die Chance, alles in neue Bahnen zu lenken…

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Eine bestimmte Angst loswerden

Manchmal sagt uns der Verstand ganz klar, dass kein Grund besteht, vor etwas Bestimmtem Angst zu haben. Dennoch haben wir Angst und schaffen es nicht, sie loszuwerden. Warum ist es so schwierig?
Lassen wir die Tatsache ausser Acht, dass Angst evolutionsgeschichtlich gesehen die Funktion hat, eine Reaktion hervorzurufen, nämlich entweder Kampf oder Flucht, und beachten wir ebenso wenig die berechtigte Vorsicht. Sprechen wir jetzt nur von der objektiv völlig unbegründeten Angst in einer bestimmten Situation. Warum bringt der Verstand sie nicht zum Verstummen?

Das liegt daran, dass wir verschiedene Ichs in uns haben (Verstand, Emotion, Körper), die bis zu einem gewissen Grad eigenständig und unabhängig voneinander agieren und reagieren.
Obwohl der Verstand in einer bestimmten Situation überzeugt ist, dass kein Grund zur Angst besteht, kann das emotionale Ich trotzdem Angst empfinden, ebenso wie der Körper, der dann mit Herzklopfen, Schwitzen und Zittern reagiert. Deshalb genügt es nicht, sich seine Angst durch rationale Argumente ausreden zu wollen. Der Verstand hat nicht immer Macht über das emotionale und das körperliche Ich. Wir müssten die Angst auf jeder Ebene gesondert angehen, auf welcher sie sich manifestiert.

Die Angstempfindung des emotionalen Ichs können wir bewusst und gezielt durch andere Gefühle überlagern, beispielsweise durch beruhigende oder rockige Musik, ein friedvolles Bild wie eine Berglandschaft oder ein lachendes Kindergesicht, auch indem wir uns intensive positive Erinnerungen ins Gedächtnis rufen und darin weilen.

Der Körper lässt sich überlisten, indem wir ihm „Symptome“ vorgaukeln, die sonst Ruhe und Gelassenheit signalisieren und nicht Angst: Wir atmen bewusst ruhig und tief, entspannen unsere Muskeln, schliessen unsere Augen und lächeln.

Diese Methoden lassen sich gut praktizieren bei all den irrationalen Ängsten, die wir deutlich spüren und erkennen, wie Prüfungsangst, Lampenfieber, Angst vor einer bestimmten Begegnung oder Situation. Tun wir es immer wieder, so verschwindet die betreffende Angst mit der Zeit – relativ schnell auf der emotionalen Ebene, langsamer auf der körperlichen, die von Natur aus „dichter“ und deshalb träger ist.

Und vor allem – ich habe es auf dieser Website bestimmt schon geschrieben! – müssen wir uns über die Angst hinwegsetzen: Wir lassen uns durch diese bestimmte Angst nicht behindern. Wir haben zwar Angst, aber wir tun das Gefürchtete trotzdem. Angst verschwindet (leider!) nicht von selbst – der beste Weg, sie erfolgreich und anhaltend loszuwerden, ist, uns ihr zu stellen.

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Schweinegrippe – und die Angst vor den Krankheiten

Den folgenden Text habe ich einmal geschrieben, als wir noch lange nicht ahnten, dass uns tatsächlich eine Pandemie – Covid-19 – treffen würde!

Zuerst war es SARS, dann die Vogelgrippe und jetzt die Schweinegrippe – das Gesprächsthema weltweit, und weltweit unternehmen Regierungen und Menschen, was sie können, um vorzubeugen und sich zu schützen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es nicht in Panik und Hysterie ausartet…

Früher litten und starben die Menschen an der Pest, Tuberkulose, ja bis fast Mitte des letzten Jahrhunderts noch an einer Lungenentzündung. Heute sterben sie, abgesehen von den selbstverschuldeten Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen, an AIDS, SARS, Vogel- und Schweinegrippe. Die Natur lässt sich immer wieder etwas einfallen!
Ich glaube fest daran, dass das Leben einen Sinn hat, nämlich unsere innere Entwicklung, und wir den Erfahrungen (auch leidvollen) nicht entgehen können, die uns auf unserem Weg weiterführen. Und muss ich zu diesem Zweck eine schwere Krankheit durchmachen, ist es mir ziemlich egal, ob es die Pest oder die Schweinegrippe ist!
Positiv ausgedrückt: Es kann mir ja nichts geschehen, was nicht für mich vorgesehen ist – somit ist doch jede Angst vor Krankheiten sinnlos. Auch vor diesen „neuen“ Krankheiten: Wenn ein Mensch aus Schmerzen oder einem Krankenhausaufenthalt etwas lernen soll, eine Krankheit ihn ans Bett zu fesseln hat, um ihn von etwas abzuhalten oder davor zu bewahren, sogar wenn er daran sterben muss – dann wird er die eine oder andere Krankheit bekommen. Wie gesagt, ob es dann eine äusserst seltene ist oder eine, an der zugleich einige Millionen anderer Menschen leiden, macht für den einzelnen Betroffenen keinen Unterschied.

Ich wünsche euch auch in Zeiten der Schweinegrippe (und/oder was an Pandemien noch auf uns zukommen mag) das Urvertrauen, dass ein Sinn darin liegt – für den einzelnen und die Menschheit.

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Herr über das Schicksal?

Wir erliegen oft der irrigen Annahme, wir hätten unser Leben im Griff, wir könnten planen, vorausschauen, lenken… Doch die Erfahrung haben wir alle schon gemacht:
Wir bemühen uns um etwas – und das erhoffte Ergebnis stellt sich nicht ein.
Aber auch: Wir bemühen uns um etwas – und das erhoffte Ergebnis stellt sich ein.
Ebenso: Wir lassen alles schlittern – und es entsteht etwas Positives, Erfreuliches daraus.
Und wiederum: Wir lassen alles schlittern – und geraten in eine unerfreuliche, schwierige Lage.
Über das Schicksal haben wir keine Macht, egal was wir darunter verstehen: einen göttlichen Plan, eine Glücksgöttin, ein sinn- und zielloses Chaos. Dazu eine hübsche Geschichte aus Indien.

Ein Brahmane wollte bei religiösen Feierlichkeiten eine Ziege auf dem Altar opfern. Als er das Messer wetzte, begann die gefesselte Ziege plötzlich zu lachen. Erstaunt hielt der Priester inne und betrachtete das Tier, das jetzt zu weinen anfing.
Er fragte die Ziege, was ihr sonderbares Verhalten zu bedeuten hätte, und sie erklärte es ihm: „Während ich dem Tode geweiht da lag, erinnerte ich mich, dass ich in einem früheren Leben auch einmal ein Brahmane war und wie du eine Ziege opferte. Wegen dieser Bluttat sollte ich fünfhundert Mal als Ziege wiedergeboren werden und jedes Mal dadurch sterben, dass mir der Kopf abgeschlagen wird. Und dieses ist das fünfhundertste Mal! Deshalb habe ich gelacht: Weil ich nach diesem Tod in eine bessere Existenz wiedergeboren werde. Aber dann erkannte ich, dass du, der mich tötest, nun ein ähnliches Schicksal erleiden wirst, und du erbarmtest mich und ich musste um dich weinen.“
Der Brahmane war gerührt, verzichtete auf das blutige Opfer und ordnete an, dass das Tier gehegt und gepflegt und beschützt würde, damit ihm wenigstens dieses eine Mal sein Schicksal erspart bliebe. Aber alle Fürsorge nützte nichts: Es kam ein Gewitter und ein Blitz schlug in der Nähe so ein, dass ein Felsbrocken durch die Luft geschleudert wurde und der Ziege den Kopf abschlug.

Was, wenn nicht unser Urvertrauen – dass alles immer so kommt, wie es gut für uns ist – kann uns von der Angst vor der Willkür des Schicksals erlösen?

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Wissen wollen oder vertrauen?

Vor einigen Tagen machten Walter* und ich einen ausgedehnten Spaziergang und redeten – wie so oft! – über den Sinn des Lebens und wie wir unser Ziel zu erreichen versuchen.
Er erzählte mir, er hätte kürzlich bei einer Rückführung in frühere Existenzen (er macht das von Zeit zu Zeit, ohne Drogen oder Hypnose, mit Hilfe eines Therapeuten) zum ersten Mal den roten Faden durch verschiedene Wiedergeburten bis zur gegenwärtigen erkannt. Und weil er jetzt wisse, dass und warum eine bestimmte Aufgabe auf ihn zukommen werde, könne er sich darauf vorbereiten und werde, wenn es denn soweit sei, sicher nicht kneifen und sie lösen.
Walter muss immer verstehen, warum etwas geschieht. Er will zum Voraus wissen, was ihn erwartet. „Wo bleibt dein Urvertrauen?“, fragte ich ihn. „Genügt es dir nicht zu wissen, dass alles, was auf dich zukommt, einen Sinn hat?“
„Wenn ich erkenne, warum etwas geschieht, kann ich besser damit umgehen. Und wenn ich vorher weiss, welche Aufgabe mir gestellt wird, ist die Chance grösser, dass ich sie richtig löse“, wandte er ein.
„Du hast einfach Angst“, sagte ich, „und kein Vertrauen in das Höhere. Du bist doch in diesem Leben getragen und geführt! Für jede Situation, in welche du gerätst, bekommst du gleichzeitig die Unterstützung, die du brauchst… Selbst wenn du kneifst, selbst wenn du ‚versagst‘ – es gibt immer wieder eine neue Chance…“

‚Und wenn wir wissen sollten, was in unseren früheren Leben war, dann würden wir uns daran erinnern‘, dachte ich noch bei mir.

*Name aus Diskretionsgründen geändert

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