Meine innere Stimme

Angeregt durch die Frage von Tom zu meinem Text „Mir selbst bedingungslos vertrauen!“, veröffentliche ich hier einige meiner Erkenntnisse zur inneren Stimme.
Es ist interessant, dass ich schon bald zwanzig Jahre auf meine innere Stimme höre und ihr bedingungslos vertraue, aber erst kürzlich in einem alten Text („Apologie des Sokrates“ von Plato) eine Beschreibung gefunden habe, die in einem Satz den Kern dessen wiedergibt, was ich selber genau so erfahre. Sokrates sagt:
„Mir aber ist dieses von meiner Kindheit an geschehen, eine Stimme nämlich, welche jedesmal, wenn sie sich hören lässt, mir von etwas abredet, was ich tun will, zugeredet aber hat sie mir nie.“
Mit anderen Worten: Die innere Stimme meldet sich immer dann, wenn wir im Begriff sind, etwas zu denken, zu sagen oder zu tun, was nicht gut für uns. Schweigt sie, machen wir alles richtig.

Die innere Stimme ist die Stimme unserer Seele, die zu uns spricht, um uns zu leiten auf unserem Lebensweg, auf das Ziel unserer inneren Entwicklung zu. Sie ist es, die unsere Entscheidungen in die Richtung beeinflusst, die gut für uns ist. In christlichem Sinne stellt sie auch unser Gewissen dar, das uns ermahnt, wenn wir unrecht denken oder handeln.
Oft ist sie jedoch eine leise Stimme, die sich nicht wiederholt, wenn wir nicht sogleich auf sie hören. Und sie äussert sich nicht so klar und deutlich, wie wir es gerne hätten, nicht mittels Worten und der uns vertrauten Sprache, sondern vielmehr mit Empfindungen, unbestimmten Wahrnehmungen, inneren Zeichen, klarem Wissen. Deshalb ist sie einerseits nicht leicht zu vernehmen und andererseits, selbst wenn wir sie hören, nicht ganz eindeutig von anderen Stimmen zu unterscheiden.

Wir alle besitzen die innere Stimme – ebenso wie wir alle eine Seele besitzen! – und es trifft nicht zu, dass sie beim einen Menschen besser ausgebildet ist als bei einem anderen, wie das beispielsweise für die Sinne (Hören, Sehen usw.) zutrifft. Der Unterschied liegt nur darin, dass die einen wachsamer sind, vielleicht auch offener und eher gewillt, mit ihr in Berührung zu kommen als andere.
Ihre „Sprache“ zu verstehen kann man indes üben, kennt man einmal ihre Eigenheiten. Überaus ermunternd ist, dass der Lernprozess nicht linear, sondern exponentiell verläuft, das heisst: Die ersten Schritte sind klein und wir müssen uns darum bemühen, aufmerksam und wach sein; doch je häufiger wir auf sie hören, desto deutlicher spricht sie zu uns! Bis wir uns überhaupt nicht mehr anstrengen müssen und sie zu unserem ständigen Begleiter wird.
Die Stimme der Seele macht sich in vielfältiger Weise bemerkbar – nur nicht in deutlichen Worten! Vernehmen wir also eine „richtige“ Stimme, die uns konkret zu etwas auffordert (besonders wenn es sich dabei um kategorische Befehle für Taten handelt, die unser Verstand nicht billigen würde), sollten wir äusserst misstrauisch sein und mit einer Vertrauensperson darüber sprechen.
Die subtile Sprache der inneren Stimme ist vielfältig; die nachstehenden Beispiele sollen ein Gespür dafür vermitteln, wie sie sich unaufgefordert meldet:
• Tun oder sagen wir etwas „ganz selbstverständlich“, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben, „kommt es wie von selbst“ oder „von innen“, begleitet von einem Gefühl der Sicherheit und Zuversicht, ist es ein Zeichen, dass die Seele die Handlung befürwortet.
• Sind wir hingegen im Begriff etwas zu tun oder eine Entscheidung zu fällen, die unsere Seele nicht gutheisst, meldet sie sich oft mit einem leichten Unbehagen, eine Art Unwohlsein; das haben wir alle schon einmal erlebt, doch meistens beachten wir es nicht, zumal es nur kurz auftritt, eine, zwei Sekunden, und gleich wieder verschwindet. Man könnte es auch eine Art Dysharmonie nennen, die wir empfinden.
• „Ein ungutes Gefühl“ ist bereits eine deutlichere Form; hierbei sollten wir jedoch prüfen, ob es nicht etwa von Angst begleitet wird, weil es sich dann möglicherweise um die Stimme des Ego handelt. Doch im Zweifelsfall scheint es ratsam, dieses Gefühl ernst zu nehmen – es hat schon viele Menschen vor Unheil bewahrt!
• Auch die Unlust oder Unentschlossenheit, etwas zu tun, kann ein Hinweis der Seele sein, es lieber bleiben zu lassen; das müssen wir allerdings sorgfältig prüfen, indem wir ehrlich zu uns selbst sind und wirklich ausschliessen können, dass das Ego mit seiner Trägheit, Faulheit, Nachlässigkeit oder Angst dahinter steckt.
• Manchmal kommuniziert die innere Stimme mit uns, indem wir etwas „einfach wissen“, es ist ein Wissen in uns, eine Klarheit – die der Verstand daraufhin gerne zu hinterfragen beginnt und dann oft mit Argumenten zu widerlegen versucht.

Durch unsere Wachsamkeit und das wiederholte Vertrauen in die innere Stimme entwickelt sich in uns eine Art „Warnsystem“, vergleichbar mit der roten Warnleuchte im Auto: Etwas in uns „flackert“ auf, wir spüren es, empfinden es tatsächlich als eine Warnung, wenn wir im Begriff sind etwas zu tun, was nicht dem Willen unserer Seele entspricht.

Das grösste Hindernis sind unsere Zweifel. Wir sind es so gewohnt und es entspricht unserer Erziehung, nur auf den Verstand zu bauen, dass wir Mühe haben, solch vagen Empfindungen zu vertrauen.
Zudem haben wir Angst, „Fehler“ zu machen: Wir müssen das Urvertrauen in uns stärken, dass es keine Fehler gibt, sondern nur Erfahrungen, und dass alles, was auf uns zukommt, uns etwas lehrt und weiter bringt auf unserem Lebensweg. Alles kommt, wie es gut für uns ist.

Je mehr wir unserer inneren Stimme vertrauen, desto deutlicher spricht sie zu uns. Das Ego reagiert jedoch jeweils sehr schnell und äusserst listig und seine Verstandesebene liefert augenblicklich überzeugende Argumente, warum wir das Warnsignal überhören sollen!
Wie wir die wahre Stimme der Seele von den trügerischen und verführerischen Stimmen des Ego, die ins in die Irre leiten wollen, unterscheiden können, darüber schreibe ich das nächste Mal.

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2 Gedanken zu “Meine innere Stimme

  1. Liebe Karin

    Ich merke, dass ich etwas Abstand brauche von meinem Ehemann und Familie. Du hast doch mal eine Rückzugsmöglichkeit im Tessin erwähnt. Könntest du mir den Namen dieses Hauses angeben?

    Vielen Dank und liebe Grüsse
    Amelia

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