Meine eigene Weihnachtsgeschichte

In der Familie meines Vaters gab es zwei alte Tanten, die „verschroben“ waren und „spinnten“ – wie man sich in der Verwandtschaft erzählte: Die eine hatte wahrsagende Träume und Kontakt mit Toten, die andere wohnte in einem abgelegenen, „verwunschenen“ Haus und redete mit Geistern… Ich hingegen fühlte mich offenbar als Kind von Übersinnlichem angezogen und mochte die beiden, besonders Tante Doris, die für mich ohnehin etwas Geheimnisvolles hatte, weil sie Anfang des 20. Jahrhunderts in Serbien aufgewachsen war und wunderschöne Geschichten aus jener Zeit zu erzählen wusste.

Einmal besuchte sie uns zu Weihnachten – ich war damals 16 oder 17, Hippie, Revoluzzer und Motorradfreak – und brachte mir ein Geschenk mit. Erwartungsvoll packte ich es aus: Als ich aber ein dünnes Buch mit wenig Text in grosser Schrift und vielen bunten Zeichnungen in Händen hielt, war ich masslos enttäuscht und dachte bei mir, nun sei Tante Doris doch schon am Vergreisen, dass sie meinte, ich sei immer noch ein kleines Kind und hätte Freude an einem Buch mit farbigen Bildern! Ich stellte es ins Bücherregal und vergass es.

Erst viele, viele, aber wirklich viele Jahre später kam es mir „zufälligerweise“, als ich etwas anderes im Regal meiner Eltern suchte, wieder in die Hände. Ich begann darin zu lesen… und nachdem ich in einem Zug ans Ende gelangt war, schickte ich Tante Doris, die zu jenem Zeitpunkt schon lange tot war, einen liebevollen Gedanken für das bereichernde Geschenk von damals…
Seither habe ich „Der Kleine Prinz“ (von Antoine de Saint-Exupéry) viele, viele, aber wirklich viele Male wieder gelesen, wenn ich fröhlich war, wenn ich traurig war, wenn ich ratlos war – und jedes Mal rührt das kleine Kerlchen mich zu Tränen.

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