Ich – und das Ego der anderen

In meinem Artikel „Die Liebe einer Frau“ geht es darum, selbstlos und bedingungslos zu lieben, einen anderen Menschen glücklich zu machen und darin sein eigenes Glück zu finden – also das eigene Ego etwas zurückzustellen.
Das ist schön und richtig, aber… es gibt ein Aber. Im Text habe ich bereits erwähnt, dass diese Liebe für einen anderen Menschen nicht auf Unterordnung, Unterwerfung, Abhängigkeit, Selbstaufopferung, Untreue sich selbst gegenüber beruhen darf. Dem will ich noch zwei Aspekte hinzufügen.

1. Wir dürfen unsere eigenen existentiellen Bedürfnisse nicht unterdrücken.
Es gibt viele unwichtige, kleinliche, unbeudetende Wünsche und vermeintliche Bedürfnisse, von denen unser Glück nicht wirklich abhängt, betrachten wir sie mit etwas Abstand und Objektivität. Bei diesen dürfen und sollen wir zu Gunsten eines anderen zurückstecken (das war im vorangehenden Artikel gemeint).
Aber jeder Mensch hat auch individuelle Bedürfnisse, die für ihn persönlich existentiell sind – aus welchen Gründen auch immer und so lange, bis er selbst sie aufgrund von neuen Erkenntnissen und innerer Überzeugung als nicht mehr „lebenswichtig“ betrachtet. Und diese Bedürfnisse dürfen wir nicht unterdrücken! Das macht uns wirklich unglücklich und kann bis zu körperlichen oder psychischen Erkrankungen führen, wenn wir sie über längere Zeit missachten. Das bedeutet, dass wir nach einem Weg suchen müssen, sie zu befriedigen – dass dieser Weg manchmal etwas Mut zu entscheidenden Schritten braucht, nicht ganz einfach sein mag und am Anfang vielleicht sogar mit Schmerz verbunden, lässt sich nicht leugnen.
Ebenso führt dieser Weg manchmal dazu, dass andere Menschen sich dadurch verletzt, verärgert, beleidigt fühlen; auch das dürfen, sollen, müssen wir furchtlos in Kauf nehmen, denn unserem ureigenen Weg, dem, was wir in uns als richtig für uns spüren, müssen wir folgen – sonst verleugnen wir uns selbst. Und kein Mensch hat das Recht, uns daran zu hindern, und wir sollen uns nicht daran hindern lassen! Dabei dürfen wir darauf vertrauen, dass es am Ende auch für alle anderen Beteiligten gut ist („gut“ von einer höheren Warte aus betrachtet); das an dieser Stelle weiter zu erläutern, würde den Rahmen sprengen, aber ihr findet immer wieder Texte von mir zu diesem Thema.
Nur noch soviel: Was bei einem Menschen verletzt, verärgert, beleidigt und mehr ist, ist nur das Ego (die Seele ist unverwundbar und ewig-glücklich)! Und mit dem Stichwort „Ego“ gelange ich zum zweiten Aspekt.

2. Wenn wir einen Menschen wirklich lieben, ist es nicht richtig, sein Ego gewähren zu lassen.
Das Ego jedes Menschen neigt dazu, sich zu nehmen, was es bekommen kann. Dem einen Menschen gelingt es besser, es aus seiner Seele heraus (durch ethische, moralische, spirituelle Werte) zu kontrollieren und so im Zaum zu halten, dass es die Mitmenschen nicht rücksichtslos übervorteilt und ausnützt; ein anderer Mensch lässt es hingegen zügellos treiben oder bindet es nur dann vorübergehend zurück, wenn er dazu gezwungen wird oder er sich durch eine kurzfristige Mässigung einen längerfristigen Vorteil verspricht.
Ein Mensch, der seinem Ego freien Lauf lässt – meint er auch, durch die Befriedigung seiner egoistischen Wünsche und Triebe glücklich zu sein –, wird sein wahres Glück auf die Dauer nicht finden. Erlauben wir also einem Menschen, den wir lieben, sein Ego auszuleben, so tun wir ihm damit keinen Gefallen! Es ist vielmehr unsere Aufgabe, ja unsere „Pflicht“, uns seinem Ego in den Weg zu stellen. Das tun wir am besten, ja sozusagen auf „natürliche“ Weise, indem wir uns selbst treu bleiben (also unter anderem unsere existentiellen Bedürfnisse nicht unterdrücken) und uns dem Mitmenschen gegenüber aufrichtig verhalten. Auf-richtig im wahren Sinne des Wortes heisst: Wir richten jemanden auf (ein absolut positives Verhalten!), dadurch, dass wir sagen, was wir empfinden, was wir zu sagen haben, ohne Angst zu verletzen oder seine Liebe zu verlieren. Wie kann jemand lernen, sein Ego abzubauen, wenn wir ihm immer alles durchgehen lassen? Das heisst auch, dass wir klare Grenzen setzen und uns nicht ausnützen oder gar missbrauchen lassen.

Ändern können wir einen anderen Menschen nicht (obwohl wir das oft meinen oder hoffen und es versuchen) – aber wir können ihm dazu verhelfen, dass er sich selbst ändert. Will er das nicht und lässt er sein Ego weiterhin in einer Weise gewähren, die wir nicht annehmen können ohne uns selbst untreu zu sein, so sollten wir auf unsere Seele hören und die Entscheidungen treffen, die für uns stimmen.

Artikel teilen auf:
Facebooktwitter

Ein Gedanke zu “Ich – und das Ego der anderen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert