Angst und Urvertrauen

Angst vor Krankheit, vor engen Räumen, dunklen Gassen, vor dem Fliegen, Angst den Job zu verlieren, die Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können, Angst einem geliebten Menschen könnte etwas zustossen, Angst verlassen zu werden, nicht geliebt zu werden, Angst vor dem Urteil der Mitmenschen, Angst jemanden zu verletzten oder verletzt zu werden, Angst vor der Zukunft, Angst eine falsche Entscheidung zu treffen, Todesangst, Höhenangst, Existenzangst, Angst vor der Angst – unzählig scheinen die Ängste, die den Menschen plagen. Wie viele sind es? So viele wie es Menschen gibt? Oder existiert nur eine Angst, die Angst – ebenso wie es nur eine Zuversicht gibt, die Zuversicht?
All die vielfältigen Facetten der Angst, seien es die konkreten oder die vagen, lassen sich auf eine Ur-Angst zurückführen: die Angst vor dem Leiden (physisch oder psychisch).
Obwohl wir in unserer Verblendung oft der Illusion verfallen, unser Leben im Griff zu haben und darüber mit Willenskraft und Einsatz bestimmen zu können, wissen wir in unserem Innersten, dass wir keine Macht besitzen über das Schicksal, keine Macht, unser Leben so zu gestalten, wie wir es uns wünschen. Versuchen können wir es, uns für unsere Ziele einsetzen; doch unterschwellig bleibt das Bewusstsein bestehen, dass das „Unvorhergesehene“ all unsere Pläne und Hoffnungen in einem einzigen Augenblick zunichte machen kann, und damit die Angst vor Künftigem.
Diese mehr oder minder offenkundige Angst vor dem Ungewissen und Unbekannten äussert sich unter anderem in der Angst vor Veränderungen. Das erklärt, warum Menschen in einer unbefriedigenden, ja leidvollen Lage verharren, obwohl es Auswegsmöglichkeiten gäbe: Die bestehende Situation, so unerträglich sie auch ist, kennen sie, sie ist ihnen vertraut und sie glauben, damit irgendwie umgehen zu können – wenn auch unter Schmerzen. Jede Veränderung ist hingegen ungewiss in ihrem Ausgang, sie führt auf unbekanntes Terrain… man weiss nicht, was kommt… man traut sich nicht zu, das Neue zu bewältigen… man fürchtet noch grösseres Leid… man hat Angst, einen Schritt zu wagen…

Die Urangst können wir nur durch das Urvertrauen besiegen, dieses bedingungslose Vertrauen in das Leben, das Schicksal, eine höhere Macht oder wie man es nennen mag. Bei kleinen Kindern ist das Urvertrauen von Natur aus vorhanden: Sie zweifeln nicht daran, dass sie behütet sind, aufgehoben, geliebt werden und alles bekommen, was sie brauchen. Sobald allerdings das Ego erstarkt, lässt das Urvertrauen nach und die Urangst nimmt dessen Platz ein.
Selbst wenn wir dann als Erwachsene merken, dass es uns verloren gegangen ist, und wir es wieder haben wollen, kehrt es nicht automatisch zurück – aber wir können es zurückgewinnen durch einen bewussten Prozess, bei dem wir an uns arbeiten und uns bemühen. Es ist ein lohnender Weg, die einzige wirksame und anhaltende Möglichkeit, um uns von unserer Urangst und damit von all unseren alltäglichen Ängsten zu befreien und in diesem Leben wirklich sorglos glücklich zu sein!

Die beiden grundlegenden Erkenntnisse, um das Urvertrauen wieder zu finden, lauten:
1. Ich bekomme immer was ich brauche und mir gut tut („gut“ auf lange Sicht betrachtet). Weder habe ich die absolute Macht, etwas Angestrebtes zu erlangen, noch die absolute Macht, etwas Unliebsames abzuwenden. Es besteht also objektiv kein Grund, vor irgendetwas Angst zu haben.
2. In diesem irdischen Leben gibt es keine Belohnung oder Strafe; alles, was mir zufällt und zustösst verfolgt einzig den Zweck, mich etwas zu lehren, mir neue Erkenntnisse zu vermitteln, meine geistige Entwicklung zu fördern. Dabei sind alle und alles meine Lehrer in dieser Lebensschule.

Kein Mensch, keine Naturgewalt, kein Lebewesen besitzt die Macht, uns etwas anzutun (auch nichts Gutes!), wenn es nicht sein soll, wenn es dem Sinn des Lebens, der Natur, dem eigenen Schicksal zuwiderläuft. Deshalb sollten wir nicht länger versuchen, damit unsere Angst vor Menschen, vor Situationen, vor dem ganzen Leben zu begründen.
Die logische Konsequenz aus diesen Erkenntnissen und zugleich die Voraussetzung, um sie im Alltag praktisch umzusetzen, ist unsere Bereitschaft anzunehmen, was auch immer uns gegeben wird, also Lust und Schmerz, „Geliebtem“ und „Verhasstem“ mit Gleichmut zu begegnen; diese Eigenschaft ist eines der Hauptthemen meiner Website Karma-Yoga.

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5 Gedanken zu “Angst und Urvertrauen

  1. 😥 Wie kann ich das fehlende Urvertrauen wieder zurückerlangen. Was hilft mir in der Zukunft, dass wieder zu kompensieren, was mir im Kindesalter gefehlt hat.

    Ich habe nicht nur das Urvertrauen in den ersten Jahren meines Lebens nicht aufgebaut, sondern auch seit 5 Jahren keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern, weil sie mich rausgeschmissen haben.

    Sie meinten, ich bin nicht mehr ihre Tochter, und wollen mich auch nie wieder sehen. Ich dachte diese letzten 5 Jahre immer wieder, es ist nicht so schlimm, ich habe es schon überwunden. Aber diese WUnde wird wohl nie heilen, stimmt´s???

    Ich kämpfe immer wieder damit, warum haben sie das getan, wie kann man nur so kaltherzig sein.

    Wie finde ich dieses Vertrauen in andere Menschen wieder und vor allem in mich….. ????

    Ich lebe seit 5 Jahren in einer Beziehung und es vergeht kaum ein Tag wo wir nicht streiten…. weil ich mich entweder bedroht von ihm fühle, mich nicht geliebt fühle, oder einfach nur weil ich mich fühle als hätte er keinen Respekt oder Mitgefühl mir gegenüber.

    Wie kriege ich das in den Griff.????

    Bitte um Antwort….

  2. Liebe Samantha

    Es ist sehr schmerzhaft, sich von den Menschen, die man liebt, abgewiesen zu fühlen, missverstanden, respektlos behandelt, ungeliebt… Ich fühle mit dir.

    Ich glaube, der einzige Weg, damit leben zu können, ist in der Tat das Urvertrauen und die Selbstliebe in sich zu finden und zu stärken.
    Das ist allerdings ein langer Weg und bedingt, dass wir fortwährend an uns arbeiten. Doch Pauschalrezepte kann ich dir leider auch nicht geben, es gibt wohl keine!
    Es sind jedenfalls kleine, ganz winzig kleine Schritte, die wir in den alltäglichen Situationen machen, wobei wir immer wieder über unseren eigenen Schatten springen müssen.

    Doch es ist zu schaffen! Die allermeisten Menschen haben wenig bis kein Urvertrauen und eine ebenso geringe bis fast gar keine Selbstliebe – doch wir können es lernen! Ich selbst musste das auch.
    Auf dieser Website findest du Anregungen für konkrete, im Alltag praktikable Wege.

    Was die Situation mit deinen Eltern betrifft, so kann ich dir in Unkenntnis der Details, die zu diesem Zerwürfnis geführt haben, nur generell raten, trotzdem das Gespräch mit ihnen wieder zu suchen. Vielleicht wird allein dieser Schritt dir deinen Seelenfrieden zurückgeben, unabhängig davon was daraus entsteht…

    Ich wünsche dir von Herzen viel Kraft und vor allem, dass du nie den Mut verlierst. Glaube daran, dass du es schaffen kannst!

    Herzlichst,
    Karin

  3. Samantha, ich lese hier hin und wieder mit und habe so auch Ihre Eröffnung über Ihr Privatleben mitbekommen. Mir scheint, Sie müssen Ihr Problem an der Wurzel packen, da wo es entstanden ist, nämlich zwischen Ihren Eltern und Ihnen. Wie wäre es für Sie mit einem Mediator (es gibt Rechtsanwälte, die in solchen Situationen vermitteln aber auch Psychologen) und Ihren Eltern sich an einen Tisch zu setzen und zumindest zu das wie und warum zu klären. Wenn Sie sich nichts Schwerwiegendes haben zuschulden kommen lassen wäre das ein gangbarer Weg. Wenden Sie sich an eine Frauenberatungsstelle, ev. Sozialberatung Ihrer Wohngemeinde, dort kann man Sie am ehesten beraten oder an die Infra (tendentiell allerdings Scheidungsberatung, vermitteln aber m. Wissens auch Psychotherapeuten im speziellen für Frauen).

  4. Das ist nicht richtig. Urvertrauen entsteht in der ersten Phase der Entwicklung. Ist diese Phase nicht erfolgreich, entsteht ein Urmisstrauen anstelle des Urvertrauens (nach E. Erikson).

  5. Aloremn,

    Das ist die psychologische Sicht der Dinge, die mir sehr wohl bekannt ist. Aber es ist eine Sicht.
    Es gibt noch eine spirituelle Dimension des Urvertrauens und diese habe ich hier dargestellt; in der Religion wird es „Gottvertrauen“ genannt.

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