Was tun, wenn ich mich durch eine Aussage oder die Verhaltensweise eines Mitmenschen verletzt fühle? Das war Erikas Frage in ihrem Kommentar zu meinem Beitrag „Verletzt werden und verletzen“.
Sich verletzt fühlen, ist eine ganz normale menschliche Eigenschaft, und es besteht absolut kein Grund, sich deswegen Vorwürfe zu machen – selbst wenn wir die theoretische Erkenntnis besitzen, dass wir uns nie verletzt fühlen sollten!
Wenn jemand einen Pfeil auf uns schiesst, der einen unserer wunden Punkte trifft oder mit solcher Bosheit auf uns zielte, kann das weh tun. Nochmals in aller Deutlichkeit: Es ist normal, diesen Schmerz zu fühlen, wenn ein Pfeil trifft, das passiert jedem Menschen.
Wir können andere nicht daran hindern, willentlich oder unabsichtlich mit Pfeilen auf uns zu zielen – manchmal schiessen sie daneben, manchmal treffen sie aber. Entscheidend ist, wie wir uns verhalten, nachdem wir verletzt wurden.
1. Den Pfeil herausziehen. Ich mache mir bewusst, dass die Aussage oder die Verhaltensweise, die mich verletzt hat, nicht zu mir gehört, sondern von aussen in mich eingetreten ist, sie hat also nichts mit mir zu tun, ich lehne sie kategorisch ab, und ich werfe sie bildlich aus mir hinaus – ich kann das beispielsweise in einer kurzen Imagination mit geschlossenen (oder sogar mit offenen) Augen tun, indem ich mir vorstelle, wie ich diesen Pfeil aus meinem Körper herausreisse und wegwerfe.
2. Die Wunde reinigen und desinfizieren. Ich wische das Gift, das in mich eindringen wollte, weg, indem ich die verletzende Aussage „verwässere“ – je nach Situation kann ich mir beispielsweise sagen, dass die Person X völlig unrecht hat, nur aus Dummheit, Niedertracht, Mangel an Selbstwertgefühl so etwas gesagt hat; oder ich versuche, mir ihr Verhalten zu erklären (nicht zu entschuldigen!), aus ihrer persönlichen Situation, in der sie gerade steckt, wie Frustration, Wut, Enttäuschung und mehr. Es ist schwierig, dieses „Desinfizieren der Wunde“ theoretisch zu erläutern, denn in jeder Situation sind es andere Mittel, die helfen. Wichtig ist jedenfalls, mich nie selbst schuldig zu fühlen oder anzunehmen, ich hätte es nicht anders verdient – ich wurde angeschossen, dafür kann ich nichts, ich bin Opfer, nicht Täter!
3. Die Wunde verbinden. Ich lege etwas Schönes, Gutes, Angenehmes über die Wunde, indem ich mir bewusst andere Situationen in Erinnerung rufe, in denen ein Mensch (vielleicht sogar der gleiche, der mich jetzt verletzt hat) mir liebe Worte oder Taten geschenkt hat; oder Situationen, in denen ich mich gut gefühlt habe, weil ich erfolgreich war, etwas besonders gut meisterte, von anderen gelobt oder bewundert wurde. Jedenfalls Momente, in denen ich mich selbst liebte und mich wertvoll fühlte.
Und sollte die Wunde danach immer noch weh tun – dann nehme ich diesen Schmerz an und halte ihn aus. Siehe dazu meinen Beitrag über den Umgang mit dem Leiden.
Bei dieser Gelegenheit darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch das Sich-verletzt-fühlen möglicherweise nur ein altes Verhaltensmuster sein könnte: Ich habe die Erkenntnis, dass ich mich nie verletzt fühlen sollte, wohl verinnerlicht, sie ist in meiner Seele gut verankert – aber in meinem Unbewussten steckt das alte Muster noch fest und bestimmt mein Verhalten. Ohne dass ich es willentlich beeinflussen kann, steigt diese Empfindung der Verletzung in mir hoch, sobald eine entsprechende Situation eintritt, wie eine automatische Reaktion – dabei wäre sie durch meine wahre Erkenntnis längst überflüssig!
Ebenso überflüssig ist es in diesem Fall, dagegen anzukämpfen. Besser ist es, die Situation gleichmütig anzunehmen, mich nicht zu verurteilen, nicht wertlos zu fühlen, weil ich es „immer noch nicht geschafft habe, mich nicht mehr verletzten zu lassen“. Hingegen hole ich mir die theoretische Erkenntnis wieder einmal ins Bewusstsein und sage mir ganz ruhig und bestimmt: Das nächste Mal fühle ich mich nicht mehr verletzt.
Und selbst wenn es mich wieder „erwischt“ – dann war es halt noch nicht der richtige Zeitpunkt für mich, dieses alte Muster endgültig abzulegen, aber irgendwann wird es so weit sein, das ist gewiss!
Einen kurzen Beitrag von mir zum Thema Verhaltensmuster findet ihr auch hier.
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