Verzeihen

Können wir jemandem verzeihen, der uns verletzt hat ? Uns schlecht behandelt? Ungerecht zu uns ist?
Nehmen wir als häufig anzutreffendes Beispiel die Eltern: die den Bruder vorziehen; uns wiederholt zu verstehen geben, dass wir nichts wert sind; dass ihnen vieles wichtiger ist als ihr Kind; die uns nichts zutrauen; sich in unser Leben einmischen; uns daran hindern, unseren eigenen Weg zu gehen; uns ihre Hilfe verweigern, wenn wir sie brauchen…

Oft verzeihen wir nicht mit Worten, nicht einmal in unseren Gedanken oder in unserem Herzen. Doch unser Verhalten zeigt das Verzeihen: Wir gehen immer wieder auf sie zu; wir sind für sie da, wenn sie uns brauchen; wir lieben sie „trotzdem“…

Und doch tut uns die Art und Weise, wie sie mit uns umgehen, immer wieder weh – unseren wahren inneren Frieden haben wir also nicht gefunden. Werden wir es je schaffen, ihnen auch in uns drinnen so zu verzeihen, dass wir uns nie wieder verletzt fühlen?
Ja, aber auf einem anderen Weg – denn es geht nicht um das Verzeihen, es geht am Ende nur um unsere Selbstliebe. Wie könnten wir uns verletzt fühlen, an uns zweifeln, an Unrechtem leiden, wenn wir uns selbst bedingungslos lieben, ganz in uns selbst geborgen sind? Das Verhalten anderer Menschen uns gegenüber werden wir zwar nach wie vor nicht billigen, aber es wird uns nicht mehr in unserer Tiefe berühren.

Und vielleicht sollten wir zuallererst uns selbst verzeihen, dass wir noch nicht verzeihen können…

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5 Gedanken zu “Verzeihen

  1. Haben Sie daran gedacht, dass verzeihen eine komplexe Sache ist? Es bedingt, dass wir die Zusammenhänge verstehen. Vermutlich – für mich ist es so – finden wir unseren Seelenfrieden dann, wenn wir nachvollziehen können warum wer wie reagiert und dann ist es eher ein bereitschaftliches Abwarten als eine belastende Situation. Ob ich mich dadurch mehr oder weniger liebe??

  2. Danke für deinen Kommentar, Lisa.

    Meine Erfahrung – bei mir selbst und bei anderen Menschen – ist, dass das Verstehen allein nicht wirklich hilft. Bestimmt ist es ein erster Schritt, und es gelingt uns dann vielleicht, aus dem Verstand heraus zu verzeihen. Aber im Herzen? Oft bleibt da etwas zurück, das immer noch nagt, und bei nächster Gelegenheit wieder auflebt…

    Herzlichst,
    Karin

  3. So kann es sein, muss aber nicht. Viel öfter als tatsächlich Hass und Streit oder so sind unterschiedliche Lebensauffassungen, Reaktionen aus dem eigenen Erleben heraus, grosse Unterschiedlichkeit auch dann, wenn man untereinander verwandt ist, also auch Eltern und Kinder. Da wäre wohl jene Möglichkeit des sog. Verzeihens – vielleicht einfach mal eine Standortbestimmung um Missverständnisse und Co. auszuräumen – immer da. Man müsste das eben allseits wollen. Mag sein, dass es Ereignisse im Leben gibt, die einen tief verletzen und bei Gelegenheit immer mal wieder erinnert werden, resp. schmerzliche Gefühle wachgerufen. Es geht uns da wohl allen in etwa ähnlich und das sollte eigentlich m.E. Erkenntnis genug sein für eine grundsätzlich versöhnliche Haltung. Verzeihen ist ein Akt der Gegenseitigkeit. Ganz oberflächlich gesehen sind da zwei Seiten die andere, die bereit ist die Versöhnlichkeit anzunehmen. Sie und ich und mit uns viele andere Menschen wissen um dieses komplexe Thema.

  4. guten Tag Karin,
    ein total spannender Beitrag, vielen Dank. Auch die Kommentare sind sehr bereichernd. Als Tochter, Mutter , Grossmutter und Partnerin weiss ich , wie sehr zentral das „Verzeihen“ ist.Der Wunsch und auch der Verstand ist oft da; doch das Gefühl können wir schlecht beeinflussen. Dazu gehört (wäre wünschenswert ) eine gute Portion Eigenliebe, nur so kann ich frei von meinem Standort entscheiden, verzeihen und akzeptieren.Vermutlich eine lebenslange Aufgabe, da ja unser Leben ständig in Bewegung und Veränderung läuft.
    herzlichst Erika

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